Heiko Häselbarth, 30.09.1993


Evaluation eines  Interventionsprogramms zum Abbau

von Schul- und Leistungsangst



1. Einleitung

2. Grundlagen und Zielsetzung

3. Die empirische Untersuchung

4. Evaluationsergebnisse und deren Bewertung

5. Zusammenfassung

6. Literaturhinweise


1. Einleitung

Wenn bei Schülern Angstreaktionen im Zusammenhang mit der Schule auftreten, so spricht man von Schulangst. Die Schulangst wird vornehmlich als schulbezogene Leistungsangst verstanden. Hierbei unterscheiden sich Schüler allerdings auch im Ausprägungsgrad der überdauernden Tendenz in leistungsbezogenen Situationen mit Angst zu reagieren. Man geht heute davon aus, daß diese Angst im Laufe der schulischen Sozialisation erworben wird. Hierbei führt ein hoher schulischer Leistungsdruck, in Verbindung mit elterlichem Prestige-, Status- und Anspruchsdenken, zu permanentem Schulstreß. Die Folge ist eine zusätzliche Leistungsbeeinträchtigung, was für die betroffenen Schüler zu einem Teufelskreis führen kann. Vielfach treten auch psychosomatische Störungen wie Nervosität, Unwohlsein, Konzentrations- und Schlafstörungen, erhöhte Anfälligkeit für verschiedene Krankheiten (z.B. Bronchialasthma), Einnässen, depressive Grundstimmung oder erhöhte Aggressivität auf.

Vergleichsuntersuchungen über die unterschiedliche Ausprägung der durchschnittlichen Leistungsängstlichkeit in den verschiedenen Schultypen haben ergeben, daß Gesamtschulen dabei meist günstiger abschneiden, als herkömmliche Schulen. Innerhalb der traditionellen Schulformen wiederum ist die Belastung bei den Realschülern und Gymnasiasten am größten.

Maßnahmen zur Verminderung der Schulangst können sowohl systemorientiert als auch auf einzelne Schüler oder Schülergruppen gerichtet sein. Wird der systemorientierte Ansatz in den Vordergrund gestellt, so spricht man von Bedingungsmodifikation. Geht man davon aus, daß bei einer Intervention zur Bewältigung von Schulangst einzelne Schüler oder Schülergruppen im Vordergrund stehen sollten, dann spricht man von Personenmodifikation.

Die Bedingungsmodifikation zielt darauf ab, die kognitive Selbstwertbedrohung der Schüler zu reduzieren. Hierbei finden unterschiedliche Bezugsnormen und bestimmte strukturelle Änderungen der schulischen Konzeption selbst Beachtung. Bei Lehrern mit individueller Bezugsnormorientierung steht der Vergleich von Schülern untereinander nicht im Vordergrund. Somit wird die kognitive Selbstwertbedrohung gemindert. Weiterhin könnte das schulische Angebot den Schülern mehrere Möglichkeiten bieten, Erfolge für sich zu verbuchen. Auf diese Weise wären situative Voraussetzungen für die Relativierung von Leistungsergebnissen gegeben.

Eine Intervention, welche auf das Individuum selbst orientiert ist, kann durch Methoden der Verhaltensmodifikation oder anderer in der klinischen Psychologie bewährter Verfahren erfolgen. Durch Primärprävention soll hier vor allem schon das Entstehen von Schulangst weitestgehend verhindert werden. Oft sind auch die jeweiligen Bedingungen im Elternhaus von großer Bedeutung. Es gilt in diesem Falle auch dies bei präventiven Maßnahmen zu berücksichtigen.

Im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen stehen die Bemühungen von Schülern zur Bewältigung der von einer schulischen Prüfungssituation ausgehenden Bedrohung. Handlungen, auch Planung, Steuerung und Kontrolle von Lerntätigkeiten, wurden vor allem einer instrumentellen Betrachtungsweise unterzogen. Jedoch dürfen bestimmte Bedingungen (Transparenz, subjektive Bedeutsamkeit, Schwierigkeit der Situation, Kompetenzerwartungen, Ziele, Bedrohung der Person usw.) zur Erreichung bestimmter Ziele nicht außer Acht gelassen werden.


2. Grundlagen und Zielsetzung

Es soll nun ein pädagogisches Interventionsprogramm zur Bewältigung von Schulangst von Peter Strittmatter und Hans Werner Bedersdorfer näher auf seine Wirksamkeit untersucht werden. Hierbei sollen zunächst die Zielsetzung und die bestehenden Ausgangspunkte kurz umrissen werden. In Anbetracht der Kürze dieser Arbeit muß auf Vollständigkeit verzichtet werden, wobei ich versuchen werde, das Wesentliche hervorzuheben.

Vor dem Hintergrund des gegenwärtigen Wissens sollten Interventionen, von denen in möglichst theoretisch begründbarer Form zu erwarten ist, daß sie zur Reduktion von Schulangst beitragen, entwickelt und erprobt werden. Weiterhin sollte eine praktikable wie wissenschaftstheoretisch befriedigende Strategie möglichst rationaler Interventionsplanung pädagogischer Maßnahmen konzipiert und ebenfalls zum Gegenstand der Überprüfung gemacht werden.

Folgende Fragestellung ergibt sich hieraus:

In welchen schulischen Situationen reagieren wie viele Schüler mit welchen Formen von Angst?

Wodurch könnte Angst in der Schule verursacht werden?

Vor dem Hintergrund einer kognitionspsychologisch konzipierten Angsttheorie wurde als zentrales Element für die Entstehung von Angst die subjektive Bewertung einer Situation als Bedrohung herausgearbeitet. Ein Schüler beurteilt eine Leistungssituation dann als bedrohlich, wenn in einer Prüfung etwas für ihn Wichtiges auf dem Spiel steht, und wenn er gleichzeitig erhebliche Zweifel hat, daß er die für ihn bedeutsamen Ziele auch erreichen kann. Die Angst verstärkt sich, wenn dieser Schüler über keine Möglichkeiten verfügt, der Bedrohung aus eigenen Kräften wirksam zu begegnen. Die Bedrohung schulischer Leistungssituationen wird immer dann als besonders hoch empfunden, wenn sie durch Unberechenbarkeit und Intransparenz gekennzeichnet sind.

Das Interventionsprogramm ist auf den zwei folgenden Ansatzpunkten aufgebaut:

- die Modifikation bedrohlicher Aspekte schulischer Leistungssituationen.

Im Mittelpunkt dieser Interventionsbemühungen stehen vor allem die Veränderung der Lehrereinstellungen und -verhaltensweisen, soweit sie für die Schüler Bedrohungsqualität aufweisen;

- die Verbesserung der Kompetenz von Schülern, subjektiven Bedrohungen adäquat zu begegnen bzw. diese zu verarbeiten.

Diese Maßnahmen wenden sich direkt oder indirekt an die Person des Schülers. Sie intendieren eine Verbesserung der Schülerkompetenzen, die langfristig gesehen, unabhängig von Lehrer und Fach, positive Effekte auf das subjektive Angsterleben von Schülern erwarten lassen.

Hieraus ergibt sich nun die Fragestellung, ob und unter welchen Bedingungen ein pädagogisches Interventionsprogramm die Kompetenz von Schülern steigern und ihre Angstverarbeitung positiv beeinflussen kann.

Als Grundlage dienen theoretische Überlegungen von Lazarus(kognitive Theorie der Angstverarbeitung). Hierbei wird der Mensch als Individuum angesehen, das in bestimmten Situationen, in die es hineingestellt ist oder die es aktiv aufsucht, rationell handelt, um bestimmte Ziele zu erreichen. Kernstück einer komplexen, vielstufigen Person-Umwelt- Transaktion sind informationsverarbeitende Prozesse wie Erwartungsbildung und Bewertung. Hierbei werden Emotionen nicht als Resultate kognitiver Prozesse verstanden. Wahrnehmbare und interpretierbare Informationen aus der Umwelt werden durch die Emotionen verändert. Da zwischen Angstentstehung und Angstbewältigung ein enger Zusammenhang besteht, müssen auch folgende Fragen immer zusammenhängend gesehen werden:

Ist in einer bestimmten Situation überhaupt ein schädigendes Ereignis zu erwarten?

Wie kann - im Fall, daß erstere Frage bejaht werden muß - diese Bedrohung abgewendet oder ihr zumindest entgegengewirkt werden ?

Es besteht allerdings eine Wechselwirkung zwischen beiden Fragen.Wer der Überzeugung ist, in einer potentiell bedrohlichen Situation über Maßnahmen zu ihrer Bewältigung zu verfügen, wird diese Situation gar nicht erst als bedrohlich einschätzen.

Mögliche Handlungen zur Bewältigung einer bedrohlichen Situation führen zu Veränderungen von wahrgenommenen Situationsmerkmalen. Das Ergebnis wird von der Person überprüft und daraufhin eingeschätzt, ob weiterhin Bedrohung vorliegt. Ist dies der Fall, so muß der Prozeß des Angsterlebens, Abwägens, Planens, Handelns, Einschätzens usw. erneut und möglicherweise wiederholt durchlaufen werden. Angst ist demnach durch sehr unterschiedliche personengebundene Bedingungen bestimmt. So zum Beispiel Belastbarkeit der Person, Motivausprägungen und -strukturen, Bilder von der eigenen Person und der Welt, Kompetenzen, situative Bedrohungsfaktoren, Zeitaspekte, situative Zwänge, Handlungsmöglichkeiten in der Situation usw. Angst an sich kann als personale Voraussetzung einer Person-Situation-Interaktion (Ängstlichkeit), als Ergebnis bzw. emotionale Komponente einer Situationsdefinition, als emotionale Komponente erlebter Hilflosigkeit oder als Ergebnis nicht gelungener Bewältigung identifiziert werden.

Die Interventionsmöglichkeiten zum Abbau von Schulangst müssen bestimmte Kriterien erfüllen, welche hier kurz aufgeführt werden sollen:

- theoretische Nachvollziehbarkeit der Auswirkungen,

- empirische Bestätigung,

- "Querverträglichkeit" von Einzelmaßnahmen untereinander innerhalb eines Maßnahmepakets

- Nichtvorhandensein negativer Nebeneffekte

- gleichzeitige Förderung anderer wichtiger Ziele ("Breitbandmaßnahme")

- sonstige Kosten des Treatments

- Vereinbarkeit mit den institutionellen Bedingungen von Schule

- Umsetzbarkeit durch Lehrer

- Vereinbarkeit des Treatments mit den normativen Vorstellungen des Planers bzw. Forschers und der Beteiligten.

Die Mehrzahl dieser Punkte ist mit Fragen der Wertsetzung behaftet.So erscheint z.B. eine Angstreduktion durch Abgleiten in Resignation problematisch. Ebenso wäre der Versuch, bei Schülern die erlebte Bedeutung schulischer Leistung drastisch zu senken fragwürdig. Das Erbringen schulischer Leistungen ist, unter bestimmten Bedingungen, auf welche hier nicht näher eingegangen werden soll, sinnvoll. Ein weiteres angestrebtes Ziel ist die Verbesserung der Lernstrategien von Schülern, d.h. ihrer Kompetenzen, sich selbständig neue Wissensinhalte zu erschließen und aufzubereiten und, damit zusammenhängend, die Steigerung der Kompetenzen von Schülern, belastende schulische Situationen zu bewältigen und eine Änderung des Selbstkonzepts von der eigenen Lern- und Leistungsfähigkeit im Sinne einer Steigerung des Kompetenzerlebens. Weiterhin wird die Steigerung der Lernmotivation und eine Reduktion der erlebten Belastung durch Lernen und die Förderung der Selbstverantwortlichkeit für den eigenen Lernprozeß angestrebt.

Als ein wichtiger Punkt im Interventionsprogramm zum Abbau von Schulangst wird die Verbesserung der Lehrer-Schüler-Interaktion im Sinne höherer gegenseitiger Respektierung, Achtung, Echtheit und Transparenz des Handelns angesehen. Nicht zuletzt ist die Förderung der Kompetenzen von Lehrern, "Hilfe zur Selbsthilfe" zu leisten von entscheidender Bedeutung. Hierbei steht die Betreuung der Schüler und ihre Beratung bei auftretenden Schwierigkeiten im Vordergrund. Die Verantwortlichkeit sollte dabei aber bei den Schülern bleiben.


3. Die empirische Untersuchung

Bei der Untersuchungsstichprobe handelte es sich um Schüler zwei neunter Klassen. Beide Klassen wurden von derselben Lehrerin im gleichen Fach hinsichtlich der gleichen Lernziele unterrichtet.Inhalte und Schwierigkeiten der Aufgaben beider Klassenarbeiten, die in die Untersuchung eingingen, waren ebenso gleich wie die formale Bedeutung des Bestehens der Klassenarbeit oder die Erreichung einer bestimmten Note für die Schüler. In etwa gleich war auch der den Klassenarbeiten vorausgehende Unterricht sowie die Abstände zwischen den Meßzeitpunkten. Beide Klassen wurden in den übrigen Fächern in der Mehrzahl von den gleichen Lehrern unterrichtet. Die beiden Klassen bestanden insgesamt aus 51 Schülern (Klasse 1 = 27, Klasse 2 = 24 Schüler). Die Zuordnung der beiden Klassen zur Versuchs- bzw. Kontrollgruppe erfolgte nach Zufall.

Das Interventionsprogramm "Lern- und Arbeitstechniken" besteht aus den Teilen "Programm für Schüler", "Informationsmaterial für Lehrer" und "Strukturierungsvorschlag für den Seminarleiter".

Das Schülerprogramm unterscheidet fünf Problembereiche:

Bereich 1: Lernen zu Hause (Fragen des Lernmanagements)

Bereich 2: Verstehen und Behalten (Fragen der Reduktion und Elaboration von Lerninhalten)

Bereich 3: Lernen in der Schule (Fragen der effektiven Nutzung feststehender Lernzeiten im Unterricht und des Umgangs mit Lehrern)

Bereich 4: Vorbereitung von Prüfungen (Fragen der Herstellung von Transparenz, der Feststellung und Aufarbeitung von Defiziten)

Bereich 5: Prüfungsverhalten (Fragen der Emotionskontrolle und Aufmerksamkeitszentrierung)

Jedem dieser Problembereiche sind verschiedene Lern- und Arbeitstechniken zugeordnet. Jede Arbeitstechnik beginnt mit dem Einstieg, der die Problemlage bespielhaft verdeutlichen und veranschaulichen sowie die Schüler zur Arbeit an dem Material anregen soll. Es folgt die Definition des zugrundeliegenden Problems. Nun werden Vorschläge gemacht und begründet, die der Problemlösung dienlich sein sollen. Die Vorschläge werden zusammengefaßt und es werden Beispiele gegeben, an denen die Vorschläge zur Anwendung gebracht werden können. Jede "Technik" endet mit einem Auswertungsfragebogen, anhand dessen die Schüler die Anwendung kontrollieren und ihre Erfahrungen auswerten können.

In das Programm eingearbeitet ist ein "Fragebogen zur Feststellung persönlicher Schwächen im Lern- und Arbeitsverhalten", der es den Schülern gestattet, sich selbst den Teilprogrammen zuzuordnen, die sich auf für sie problematische Bereiche beziehen bzw. die Teilprogramme außer acht zu lassen, in denen sie keine Schwierigkeiten haben. Auf diese Weise entsteht ein individualisiertes Programm, d.h. jeder Schüler stellt sich aus einem Angebot sein eigenes Treatment zusammen.

Das "Informationsmaterial für Lehrer" beschreibt Intentionen und Aufbau des Interventionsprogramms und zeigt den angenommenen theoretischen Weg auf, über den das Programm zur Angstreduktion bei Schülern führen soll. Bestimmte Aspekte des Lehrer- und Schülerverhaltens als zu gewährleistende Bedingungen, insbesondere die weitgehende Konstanthaltung der Anspruchsniveausetzung und der aversiven Konsequenzen des Mißerfolgs, werden genannt.

Das Teilprogramm "Strukturierungsvorschlag für den Seminarleiter" dokumentiert Planung, Verläufe und Ergebnisse der gemeinsamen Arbeitssitzungen. Dabei wurden vor allem zwei Ziele verfolgt:

- die bessere Anpassung des Programms,

- die Qualifizierung der Lehrer zur Programmdurchführung.

Im Untersuchungsmaterial zum Interventionsprogramm wurden folgende Maße erhoben:

- Bedrohungsmaße

- Prüfungsangstmaße

- Kompetenzmaße

- die subjektiv wahrgenommene Transparenz der Anforderungen einer Klassenarbeit sowie der Vorbereitungsmöglichkeiten.

Bei der Erhebung der Bedrohungsmaße wurden die situative und die allgemeine Bedrohung unterschieden. Bei Fragen zur situativen Bedrohung wurde die Bedrohungsintensität und die Häufigkeit von Bedrohungsgedanken verstärkt berücksichtigt. Die entsprechende allgemeine leistungsbezogene Mißerfolgserwartung und die daraus resultierenden aversiven Konsequenzen des leistungsbezogenen Mißerfolgs standen bei Fragen zur allgemeinen Bedrohung im Vordergrund.

Die Erhebung der Prüfungsangstmaße erfolgte einmal unter dem Gesichtspunkt der aktuellen Prüfungsangst, andererseits wurden aber auch allgemeine Schulangstmaße erhoben. Hier wurde die allgemeine Schulangst noch einmal von der allgemeinen lehrerspezifischen Schulangst unterschieden.

Bei Fragen zur Kompetenz wurde zwischen spezifischer und allgemeiner Kompetenz unterschieden. Es wurde versucht, die aktuelle spezifische subjektive Kompetenz in einer Klassenarbeit zu erfassen. Hierbei kann das jeweilige spezifische Vertrauen in die eigene Lernfähigkeit nicht unbeachtet bleiben.

Unter dem Punkt situative Hilflosigkeit sollte hingegen das Gegenteil von Vertrauen in die eigene Lernfähigkeit erfaßt werden.Das allgemeine Vertrauen in die eigene Lernfähigkeit und das Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit wurden bei Fragen zur allgemeinen Kompetenz unterschieden. Die subjektiv wahrgenommene Transparenz der Anforderungen einer Klassenarbeit sowie der Vorbereitungsmöglichkeiten spielt eine Rolle, da eine Steigerung der subjektiven Transparenz durch entsprechende Maßnahmen unter bestimmten Bedingungen über die Steigerung der subjektiven Kompetenz zur Angstreduktion führt.


4. Evaluationsergebnisse und deren Bewertung

Auf die genaue Darstellung der Ergebnisse der Untersuchung will ich hier verzichten. Zusammenfassend sollen jedoch einige Bemerkungen erfolgen. Rückblickend auf die wichtigsten Ergebnisse auf der Ebene der Bedrohungsbewältigungsreaktionen läßt sich folgendes feststellen:

- Schüler wenden im Durchschnitt effizientere Copingreaktionen häufiger an als ineffiziente,

- prüfungsängstliche Schüler unterscheiden sich von wenig- prüfungsängstlichen durch eine hinsichtlich der Bedrohungsreduktion ineffizientere Bewältigung und

- durch ein ungünstigeres Verhältnis der Anwendung hoch effizienter Copingreaktionen gegenüber ineffizienten.

Hierbei ist von entscheidender Bedeutung, daß die variablen Faktoren der Situation und der Person identifiziert werden. Diese bedingen nämlich in erster Linie die Situationsinterpretation der jeweiligen Person sowie daraus resultierend die Formen und die Effizienzen ihrer Bedrohungsverarbeitung. Dies wiederum gilt als entscheidende Voraussetzung, planvoll modifizierend in das Angstgeschehen einzugreifen.

Bei der Untersuchung wurde festgestellt, daß die konstruktiven Bedrohungsbewältigungsformen im Vergleich zu anderen am häufigsten angewandt werden. Die Schüler bevorzugten zu allen Zeitpunkten in stärkerem Maße die Umdeutung von Faktoren der Mißerfolgsbefürchtung gegenüber der Umdeutung aversiver Konsequenzen des Mißerfolgs.

In einem weiteren Schritt sollte das Programm zur Reduktion der Schwächen im Lern- und Arbeitsverhalten und zur Steigerung der Kontrollerwartungen führen. Wer der Überzeugung ist, über effektive Lern- und Arbeitstechniken zu verfügen, glaubt auch eher, die eigenen Kompetenzen durch Lernen an schulische Anforderungssituationen anpassen zu können sowie in Prüfungssituationen bei auftretenden Schwierigkeiten auf ausreichende eigene Ressourcen zurückgreifen zu können. Diese Behauptung ließ sich in der Untersuchung empirisch nachweisen. Wenn es demnach gelungen ist, durch das Treatment das Lern- und Arbeitsverhalten der Schüler zu effektivieren, dann sollte dies auch zu einer Steigerung des "Vertrauens in die eigene Lernfähigkeit" und in die "eigene Leistungsfähigkeit" führen. Reduktion von Schwächen im Lern- und Arbeitsverhalten sowie die Steigerung des Vertrauens in die eigene Lern- und Leistungsfähigkeit führen demnach zu einer grundsätzlichen Beeinflußbarkeit der Situation. Weiterhin kommt es zu einer vermehrten Verfügbarkeit persönlicher Maßnahmen und zur Steigerung des Nutzens einer Handlung. Die Kontrolle über die Situation verbessert sich damit wesentlich. Die daraus folgende Erwartung einer Angstreduktion bei den Schülern bestätigte sich. Die günstigere Angstentwicklung war also auf eine Steigerung des situativen Vertrauens in die eigene Lernfähigkeit bzw. auf die Reduktion der situativen Hilflosigkeit zurückzuführen.

Unabhängig davon kann jedoch verallgemeinert gesagt werden, daß eine günstigere Angstentwicklung auf die jeweils günstigeren Kompetenzentwicklungen zurückzuführen ist. Je stärker die subjektive Kompetenz ansteigt, umso mehr reduziert sich die Intensität der erlebten Bedrohung, und je stärker die Bedrohung eines Schülers ansteigt, desto stärker steigt auch seine Prüfungsangst an.

Da die Effektivierung der Lern- und Arbeitstechniken nicht direkt zu einer Steigerung der spezifischen subjektiven Kompetenz in einer Klassenarbeit führt, stellt sich die Frage, wie die jeweils günstigere Kompetenz- und Angstentwicklung nach Einsatz des Treatments im Vergleich zu vorher zu erklären ist. Hypothetisch wurde angenommen, daß die günstigere Kompetenzentwicklung im Zusammenhang mit veränderten Präferenzen und Effizienzen der Bedrohungsbewältigungsformen zu sehen ist. Dies konnte sich bestätigen.

Weiterhin wurde festgestellt, daß sich das Anspruchsniveau durch das Programm nicht verändert hat. Die Entwicklung der Mißerfolgsbefürchtungen dagegen verläuft deutlich günstiger. Keinen Einfluß hatte das Programm auf die "wahrgenommenen aversiven Konsequenzen" des Mißerfolgs.

Nach Einschätzung der Lehrerin und nach Selbsteinschätzung der Schüler wurde eine gesteigerte Leistungsfähigkeit nach der Programmdurchführung festgestellt, was die Untersuchungsergebnisse bestätigen. Die gesteigerte Leistungsfähigkeit zeigte sich aber nicht in den Leistungsergebnissen der konkreten Klassenarbeit. Die erhobenen Daten gestatten über diesen "Widerspruch" keine Aussage. Man geht allerdings davon aus, daß die Anforderungen der Klassenarbeit in der Nachtestphase, im Vergleich zu denen der Klassenarbeit in der Vortestphase und zu anderen üblichen Leistungsüberprüfungen (im Unterricht, Hausaufgaben, Vokabeltest usw.) höher waren. Die Stoffülle letztgenannter war stärker eingegrenzt und besser vorbereitbar. Effektive Lern- und Arbeitstechniken können sich überhaupt nur dann förderlich auf eine zu erbringende Leistung auswirken, wenn sich die dazu erforderlichen Kompetenzen in der zur Verfügung stehenden Zeit stärken lassen. Dies ist bei eingegrenzten Wissensbereichen eher der Fall. Somit bestätigt sich außerdem die Aussage, daß eine erhöhte Leistungsfähigkeit durch Angstreduktion bei einem möglichen Spezialfall (z.B. Klassenarbeit) kaum nachzuweisen ist. Weiterführend kann man sagen, daß sich alle Bedrohungsbewältigungsmaßnahmen immer auf einen möglichen Spezialfall beziehen. Somit besteht natürlich die Schwierigkeit eines Effizienznachweises.

Die Anwendung des hier diskutierten Programms zur Bewältigung von Schulangst ist jedoch nicht an eine Klassenarbeit, ein Fach oder einen Lehrer gebunden, es kann vielmehr von den Schülern situationsübergreifend genutzt werden. Die Ergebnisse beziehen sich jedoch auf die Überprüfung eines exemplarischen Falles, der auch anders hätte gewählt werden können. Somit sind die Ergebnisse in mehrfacher Hinsicht selektiv bzw. in ihrer Repräsentativität fraglich. Weiterhin handelt es sich bei der, wenn auch nach Zufall ausgewählten, Versuchs- und Kontrollgruppe um eine Willkürstichprobe, die gegenüber der entsprechenden Population in bestimmten Merkmalen abweichen kann. Da der Unterricht in einer Klasse stark lehrerabhängig ist, kann ein anderer Unterricht in einer anderen Klasse oder mit einem anderen Lehrer möglicherweise ganz andere Ergebnisse produzieren.

Die Auswahl der Lern- und Arbeitstechniken selbst stellt mit Sicherheit eine unvollständige und wahrscheinlich auch irrepräsentative Auswahl schulisch relevanter Lern- und Arbeitstechniken dar. Daher sagen die Ergebnisse, Interpretationen und Schlußfolgerungen auch nur etwas über diese Lern- und Arbeitstechniken, bei diesen Unterrichten, Lehrern und Schülern aus. Eine Verallgemeinerung erscheint daher problematisch. Gelingen und Scheitern einzelner Techniken sind nur Hinweise auf mögliche prinzipielle Effekte. Diese sollte man zwar bei Einsatzplanung, Revision und Forschung nutzen, jedoch auch andere Sichtweisen zulassen.

Weiterhin ist zu beachten, daß verschiedene Treatments hoch effektiv sein können (Abbau des numerus clausus, Verbesserung der Lehrstellensituation, Abbau von Arbeitslosigkeit usw.), aber nicht der "Manipulierbarkeit" des Forschers unterliegen. Andere Treatments können nicht in der Schule eingesetzt werden, da sie nicht mit den herrschenden schulpolitischen Vorstellungen übereinstimmen.


5. Zusammenfassung

Ich bin in dieser Arbeit nicht speziell auf den Ablauf und den detaillierten Aufbau der empirischen Untersuchung eingegangen. Vielmehr kam es mir darauf an, die Notwendigkeit einer solchen Untersuchung deutlich zu machen, um ein pädagogisches Interventionsprogramm zu rechtfertigen. Die Zielsetzung eines Interventionsprogramms zum Abbau von Schulangst ist hierbei von grundlegender Bedeutung. Davon ausgehend lag für mich der Schwerpunkt nicht auf dem Ablauf des Programms, sondern auf deren Wirksamkeit.

Als Grundlage des hier vorgestellten und auf seine Wirksamkeit überprüften Interventionsprogramms zum Abbau von Schulangst dient die kognitive Streßtheorie von Lazarus. Hierbei entspricht die Einschätzung des eigenen Könnens dem subjektiven Anspruchsniveau einer Person. Das antizipierte Ausmaß der Beeinträchtigung bei Nichterreichung eines Ziels entspricht der Aversivität des Mißerfolgs. Das angsttheoretische Konzept (nach Lazarus) besagt nun, daß eine geringe subjektive Kompetenz in Verbindung mit einem hohen Anspruchsniveau ein hohes Kompetenzdefizit bewirkt. Eine hohe Mißerfolgswahrscheinlichkeit, das Anspruchsniveau zu erreichen ist die Folge. Besteht nun weiterhin eine hohe Motivation, daß Anspruchsniveau zu erreichen, so kommt es zur Angst in Prüfungssituationen. Eine positive Bewertung von Leistungsdruck ist gegeben, wenn eine Aufgabe als Herausforderung betrachtet wird. In diesem Falle ist allerdings die subjektive Kompetenz entsprechend hoch, und es esteht eine positive Selbstbewertung.

Um eine Angstreduktion zu erreichen, können Veränderungen im Leistungsbewertungsbereich erfolgen. Hierfür müßte die Durchsichtigkeit der Anforderungen für die Schüler erhöht werden. Auch die Bewertungsrichtlinien müßten mit den Schülern offen diskutiert werden. Sehr wichtig ist es auch, den Schülern die Konsequenzen einer entsprechenden Leistungsbewertung vor Augen zu führen. Unklare Bewertungskriterien erzeugen Angst. Von entscheidender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die jeweilige Bezugsnormorientierung des Lehrers. Sind sachliche und soziale Bezugsnormen in bestimmten Situationen unersätzlich (Selektion), so sollte doch die individualisierte Bezugsnormorientierung im Interesse des einzelnen Schülers in den Vordergrund rücken. Die Veränderung von Lehrereinstellungen und -verhaltensweisen wird also angestrebt.

Eine weitere Maßnahme zur Angstreduktion ist die Verbesserung der Lehrer- Schüler-Interaktion. Begriffe wie Akzeptanz, Wertschätzung und Einfühlungsvermögen spielen hier eine große Rolle. In erster Linie aber sollten Angst und Angstabbau in der Schule thematisiert werden, um Schüler, wie Lehrer für diese Thematik zu sensibilisieren. Hierbei sollte einer Problematisierungsphase das Finden der Ursachen von Angst folgen. Es stellt sich nun die Frage, über welche subjektiven Möglichkeiten die jeweilige Person verfügt, um die Situation zu bewältigen. Hierbei muß zuerst die Situation richtig eingeschätzt werden. Die Schülerkompetenz sollte sich dabei unabhängig von Lehrer und Fach verbessern. Somit besteht das Hauptkriterium des Interventionsprogramms in der Verbesserung der Selbstwirksamkeitserwartung bei Schülern.

Die im Programm enthaltenen Lern- und Arbeitstechniken verfolgen grob zusammengefaßt folgende Ziele:

- Bedrohungsbewältigung (allgemein und in bestimmten Situationen)

- Erhöhung der subjektiven Kompetenz

- Verringerung der Mißerfolgswahrscheinlichkeit

- Erhöhung des Vertrauens in die eigene Lern- und Leistungsfähigkeit

- reale Selbsteinschätzung

- Erhöhung der subjektiv wahrgenommenen Transparenz der Anforderungen.

Insgesamt verbesserten sich Angst, Selbstakzeptanz und Kompetenzeinschätzungen der Versuchsgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe merklich. Die Veränderungswerte lassen vermuten, daß eine Angstveränderung eher von motivationalen Faktoren abhängt und hohe Programm-Nutzung von steigender Motivation begleitet werden kann. Somit wird der Kompetenzaufbau in seiner angstsenkenden Funktion teilweise oder ganz aufgehoben.

Der zur Datenerhebung immense Zeitaufwand schränkt die Effek-tivität der Programmdurchführung erheblich ein. Die eingesetzten Instrumente sind teststatistisch von guter Qualität. Das eine genauere Wirkungsaufklärung nicht möglich ist, liegt wohl eher daran, daß zu viele Bedingungen und Treatment-Variationen einfließen und nicht nachträglich in ihren Wirkungen isoliert werden können. Besser wäre hier eine Reduzierung der Fragestellungen einerseits und mehr Methoden-Strategie andererseits (Fallstudien, Interviews, Experimente für spezifische Fragestellungen) gewesen.

Da keine institutionellen Veränderungen ins Auge gefaßt wurden und dies im Rahmen eines solchen Programms wohl auch nicht durchführbar ist, mußten die heute vorherrschenden schulischen Gegebenheiten akzeptiert und in der Programmdurchführung berücksichtigt werden. Die Interventionsmaßnahmen richten sich demnach ausschließlich auf die Person des Schülers und in zweiter Linie auch auf die Person des Lehrers. Hier sollte vielleicht die Überlegung ansetzen, ob eine, durch die Gegebenheiten produzierte Schulangst, allein durch individualisierte Maßnahmenpakete, welche sich ausschließlich auf Schüler und Lehrer beziehen, noch bewältigt werden kann.

Das Interventionsmaßnahmen zum Abbau von Schulangst stark auf einzelne Schülerpersönlichkeiten hin individualisiert werden müssen, um eine Wirksamkeit zu erzielen, ist im Laufe der empirischen Untersuchung deutlich geworden. Eine allgemeine Anwendung erscheint sehr problematisch. Man kann wohl im günstigsten Fall von einem vorgegebenen Grundmuster ausgehen, welches unter den jeweiligen Umständen, den Situationen und vor allem den jeweiligen Personenmerkmalen modifiziert werden muß.

Weiterhin stellt sich die Frage der Angemessenheit der Verfahren im Hinblick auf die Erfassung komplexer Strukturen. Hierzu kann man sagen, daß die Erarbeitung und Erprobung von Interventionsprogrammen zur Bewältigung von Schulangst unabdingbar erscheint, da wir uns ja offensichtlich mit dem Problem konfrontiert sehen, vor einer Überbewertung jedoch gewarnt werden muß.Grundsätzlich ist zu sagen, daß präventiv-kollektive Maßnahmen der Bedrohungsverhinderung, der Bedrohungsreduktion und der Effektivierung des Bewältigungsverhaltens Kriseninterventionen in Einzelfällen, welche spezielle Kompetenzen bei Lehrern erfordern, vorzuziehen sind.

Sollten die, bei der Durchführung des Programms gemachten, individuellen Erfahrungen teilweise auf den Gesamtkomplex Schule übertragbar sein, so sollte, vor einem handlungstheoretischen Hintergrund die Möglichkeit der Interessenorientierung schulischen Lernens erneut überdacht werden.

Einige Prinzipien interessengeleiteten Lernens könnten sein:

- stärkere Beachtung der Auswahlmöglichkeiten der Lerninhalte

- relative Freiheit der Anspruchsniveausetzung

- stärkere Beachtung von Selbstbewertung gegenüber Fremdbewertung

- bessere Ausstattung der Schulen mit Lehr- und Lernmitteln

- Veränderung der Lehrerrolle in Richtung Beratung bei Schwierigkeiten.

Bedrohung und die Notwendigkeit ihrer Bewältigung wären allerdings auch damit nicht aus der Schule verbannt. Demnach würde auch weiterhin das Bedürfnis, über angemessene Lern- und Arbeitstechniken zu verfügen, bei Schülern und Lehrern bestehen.


6. Literaturhinweise

1) Bedersdorfer, Hans Werner: "Angstverarbeitung von Schülern - Bewältigung von Schulangst und ihre Beeinflussung durch ein pädagogisches Interventions programm", Juventa Verlag, Weinheim und München, 1988.

2) Bohse-Wagner, Nikolaus: "Evaluation einer pädagogischen Intervention zum Abbau von Schulangst - Entstehung, Umsetzung und Wirksamkeitskontrolle einer Kurses 'Lern- und Arbeitstechniken' für Schüler", Verlag Peter Lang, Frankfurt am Main, Bern, New York, Paris, 1988.

3) "Meyers Kleines Lexikon - Pädagogik", Meyers Lexikonverlag, Mannheim, Wien, Zürich, 1988.